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Vorwort der SUMO-Originalausgabe. Von Helmut Newton

An einem Tag im Jahr 1932, ich war zwölf, ging ich in ein billiges Kaufhaus in Berlin und kaufte mir von meinem Taschengeld eine Kamera. Es war eine Zeiss Box Tengor, und sie kostete 3 Mark 50, eine Rolle Film inbegriffen. Ich weiß nicht, was mich dazu veranlasste. Ich ging zur nächsten U-Bahn-Haltestelle , kaufte mir einen Fahrschein und begann, auf dem Bahnsteig und im Wagen zu foto grafieren. Als ich in Witzleben ausstieg, hatte ich noch genau ein Bild auf dem Film, und plötzlich stand ich vor dem Berliner Funkturm, einem Bauwerk, das als Kind großen Eindruck auf mich machte. Viele Jahre später hatte der Eiffelturm in Paris dieselbe Wirkung auf mich. Er zog mich unwiderstehlich an, und ich konnte nicht mehr aufhören, ihn zu fotografieren. Zurück ins Berlin des Jahres 1932: Als ich meinen entwickelten Film aus der Drogerie an der Ecke zurückbekam, konnte man nur auf einem Bild etwas erkennen – es war das mit dem Funkturm. Ich hatte mein Motiv aus einem schiefen Winkel fotografiert, wie man es damals gern machte, sodass er sich diagonal ins Bild neigte, und ich war zufrieden mit mir. Dass die sieben anderen Fotos, die ich von meinem Ausflug mit der U-Bahn mitgebracht hatte, nichts geworden waren, kümmerte mich nicht. Damals war ich umgeben von der Bildersprache des Nationalsozialismus, wie jeder in Deutschland, und in einem von Fotografie besessenen Jungen wie mir hinterließ das einen unauslöschlichen Eindruck. Später wurde dieser Einfluss durch Brassaï und Erich Salomon abgemildert. Meine Vorliebe für Fotografie bei Nacht hat ihren Ursprung in dieser frühen Erfahrung in der Berliner Untergrundbahn; glücklicherweise erzielte ich später bessere Resultate. Ich liebe es heute noch, beim Schein der Straßenlaternen oder mit hartem Blitzlicht zu fotografieren.

Vier Jahre später, 1936, stand für mich fest, dass ich Fotograf werden musste; ich hatte die Vorstellung, als „Rasender Reporter“ um die Welt zu reisen, berühmt zu sein und meine Fotos in jeder Zeitschrift zu sehen. In jenem Jahr sorgte ich dafür, dass ich als hoffnungsloser Fall von der Schule geschmissen wurde und dank der guten Beziehungen meiner Mutter eine Lehre bei der in Berlin sehr bekannten Fotografin Yva anfangen konnte. Es folgten zwei aufregende Lehrjahre in ihrem Studio in der Schlüterstraße 45. Ende 1938 verschlug es mich nach Singapur, und ich bekam bei der Singapore Straits Times eine Anstellung als Gesellschaftsreporter. Zwei Wochen später war ich schon wieder gefeuert, weil meine Reaktionen zu langsam waren für die Art von Ereignissen, die ich festhalten sollte, und ich der Zeitung selten die Fotos lieferte, die sie erhoffte.

Die nächsten paar Jahre brachten mich als Fotograf nicht viel weiter. Ich hatte genug damit zu tun, mich über Wasser zu halten und nicht zu verhungern.

Meine Jahre in Australien waren herrlich. Ich lernte June kennen und wir heirateten, aber so sehr ich das Land und die Menschen liebte, prägte es mich weder als Fotograf noch brachte ich dort fotografisch etwas Nennenswertes zustande. Dann folgte ein Jahr in London mit einem Vertrag bei der englischen Vogue, was sich als ebenso steril wie unproduktiv erwies. Also packte ich meine Taschen (meine zwei Kameras) und meine Frau in meinen weißen Porsche und machte mich auf nach Paris. Ich hatte immer noch kein Geld, weil ich das meiste immer wieder für schöne Autos ausgab.

Ich wusste im ersten Moment, dass Paris meine Stadt war. Zum Leben und zum Fotografieren. Das Leben spielte sich auf der Straße ab. Die Menschen lebten auf den Straßen, in Cafés und Restaurants. Überall schienen wunderschöne Frauen zu sein. Ich fand Ende der Fünfziger Arbeit beim Jardin des modes, und 1961 begann meine produktivste Zeit als Modefotograf bei der französischen Vogue. Sie dauerte bis Ende der Achtziger.

Ich hatte schon früher erkannt, dass ich im Studio nicht zu meiner besten Form fand, dass meine Fantasie die Realität draußen unter freiem Himmel brauchte.

Ich hatte außerdem begriffen, dass ich nur als Modefotograf mein persönliches Universum erschaffen konnte, in dem meine Models einen bestimmten Frauentyp verkörperten. Ich baute meine Kamera in den elegantesten Vierteln auf, aber ebenso in Gegenden, die die Einheimischen „la zone“ nannten, Arbeiterviertel, Baustellen und so weiter. Es war damals aufregend, für die französische Vogue zu arbeiten: Wer sonst hätte diese Akte, wer sonst hätte diese verrückten und sexuell aufgeladenen Modefotografien veröffentlicht, die ich der Redaktion einreichte?

Ich beschränkte meine Ausrüstung auf ein Minimum: zwei Kameras, jede mit drei Objektiven, einen Blitz, den man auf die Kamera stecken konnte, einen Assistenten. Ich wollte keine Zeit damit verlieren, mir über die Apparate Gedanken zu machen. Ich wollte mich die ganze Zeit ausschließlich auf das Mädchen und seine Welt konzentrieren.

Meine ersten Akte fotografierte ich nicht vor 1980. Damals konzipierte ich kurz hintereinander die Serien The Big Nudes, The Naked and the Dressed und später, in Los Angeles, The Domestic Nudes. Dass die Models auf diesen Fotografien dieselben Mädchen waren, die ich für meine Modefotografie nahm, gab ihnen diese gewisse Eleganz und Coolness, die ich in meiner Arbeit suchte.

The Big Nudes
Mit den Big Nudes, zu denen mich die Polizeifotos der Baader-Meinhof-Gruppe inspirierten, Ganzkörperfotos der Mitglieder, die als Fahndungsplakate in allen deutschen Polizeidienststellen hingen, entstand eine fortlaufende Serie, die im Jahr 1993 abgeschlossen wurde. Es war übrigens auch eine meiner wenigen Studioarbeiten.

The Naked and the Dressed
war wahrscheinlich die komplizierteste Bilderserie, die ich je gemacht habe.

Werbefotografie
Seit die Kommerzialisierung und Alltäglichkeit des redaktionellen Teils bei den meisten Zeitschriften diese Arbeit uninteressant gemacht haben, ist die Werbung ein zunehmend wichtiger Teil meiner Arbeit geworden. An den Reaktionen auf meine Arbeiten kann man sehr schön die Unterschiede zwischen europäischen und amerikanischen Moralvorstellungen ablesen. Die meisten meiner europäischen Arbeiten haben viel explizitere sexuelle Aussagen als die, die zur Veröffentlichung in Amerika bestimmt sind. Der Begriff „Political Correctness“ hat mich immer abgeschreckt, weil er mich an Orwells Gedankenpolizei und faschistische Gewaltherrschaft erinnert.

Porträts
Sehr befriedigende Arbeit, besonders nachdem ich es aufgegeben hatte, junge Hollywoodstars zu fotografieren, die immer in Begleitung ihrer Presseagenten kamen, die sich bei der Sitzung als Zensoren aufspielten. Wenn ich gefragt werde: „Welche Menschen fotografieren Sie gerne?“, lautet meine Antwort: „Solche, die ich liebe, die ich bewundere und die ich hasse.“

Helmut Newton, Monte Carlo, 1999